Die Story von Mythopia Andalusia

Im Frühjahr 2016 erhielt ich einen Anruf aus Andalusien und fragte mit leicht bayrischem Akzent, ob ich mir vorstellen könne, ein Weingut in einer der heißesten und trockensten Gegenden Europas komplett neu aufzubauen. Ich war gerade zurück von einem Aufforstungsprojekt in Nepal, und die Anfrage passte nicht in meine, freilich auch nicht sehr konkrete, Lebensplanung. Aber welch Bärendienst leistet die Lebensplanung, wenn man für solch einmalige Gelegenheiten nicht offenbleibt?

 

Die Hacienda mit wunderschön wildem Buschland liegt in Mijas, zwischen Malaga und Marbeilla am Fuße der Sierra Blanca rund 15 Minuten vom Meer entfernt. Seit der Phyloxera vor über 150 Jahren gibt es in der Gegend keinen Weinbau mehr. Die jährliche Regenmenge ist mit knapp 500 mm nicht weniger als im Wallis, nur dass die gesamte Regenmenge an wenigen Wintertagen sintflutartig über das Land stürzt. In den Sommermonaten herrscht quasi Wüstenklima. Von Juni bis September gibt es manchmal monatelang kein Wölkchen am Himmel und selbst nachts sinken die Temperaturen dann wochenlang nicht unter 30 Grad.

Das klang nach einer Herausforderung, der man als Winzer und Wissenschaftler kaum widerstehen kann. In Mijas herrschen bereits Bedingungen, wie sie mit dem Klimawandel bald in den meisten traditionellen Weinbaugebieten Europas zu erwarten sind. Extreme Wetterereignisse und Sommertemperaturen, die am physiologischen Limit der Rebpflanzen liegen. Hier könnten wir Anpassungsmaßnahmen lernen, die wir bald überall in Europa brauchen würden. Und zugleich versprach das unglaubliche Licht an der Costa del Sol (Sonnenküste) Weine von unglaublicher Komplexität.

Auch wenn die Trockenheit so groß ist, dass im Allgemeinen jede Form von Wasserkonkurrenz zwischen den Reben ausgeräumt wird, brauchen die Reben und Trauben mikrobielle Biodiversität, und für diese braucht es Aromakräuter, Büsche und Schattenbäume sowie zumindest zeitweise Bodenbegrüngung. Dafür müssen die Rebberge so angelegt werden, dass auch bei extremen Regenfällen das Wasser nicht wegfließt, sondern einsickern kann. Die Infiltrationskapazität der Böden muss mit Pflanzen, Humus und Biochar erhöht werden und der oberflächliche Abfluss durch Terrassen, Sickergräben und Wurzelbarrieren (z.B. durch Vetiver, siehe unten) verhindert oder zumindest stark reduziert werden.

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Ursprüngliche Landschaft der Hacienda vor der Bepflanzung mit Reben im Jahr 2017.

Wir verabredeten uns für Mitte Juni (2016) in Andalusien. Rudi Ballauf, der Initiator des Projektes und Besitzer der Hacienda, war bereits 80, aber wollte am Ende seiner erfolgreichen Karriere als Unternehmer, unbedingt noch etwas Einmaliges schaffen, das auch später noch über ihn hinausweisen würde. Er suchte etwas, wofür es sich lohnen würde, noch einmal alle Kräfte zu mobilisieren und sich zu engagieren, Neues zu lernen und seine so weitgefächerte Lebenserfahrung einzubringen. Er hatte Horror vor der Ruhe und die geistige Agilität, um dies in Schöpferkraft umzumünzen.

Naturwein war für Rudi Ballauf damals noch nicht das Ziel seiner Wünsche. Er stand der bayrischen Commanderie de Bordeaux vor und trank gediegen konventionell und achtete auf passendes Pairing. Wir sparten die Diskussion, wie die Weine werden sollten, erst einmal aus. Ich war ja zunächst auch noch kein Partner, sondern nur Berater und dafür zuständig, die neuen Weinberge zu planen und anzulegen.

Anfang 2017 lagen alle nötigen Genehmigungen vor und wir konnten beginnen. Zunächst mit den Erdarbeiten. Zwar wurden alle Bäume und die hauptsächliche Morphologie des Geländes erhalten, aber wir mussten die Terrassen so in die Hänge schneiden, dass das Regenwasser nicht mehr in Sturzbächen die Erde fortreißen würde, sondern durch die angepasste Oberflächenstruktur verlangsamt und aufgehalten wird. Auch musste für das nötige Minimum an Praktikabilität gesorgt werden, so dass das Begrünungsmanagement, möglicherweise nötiger Pflanzenschutz und das Austreuen von Kompost weitestgehend mechanisiert werden können. In die Terrassen wurde zudem Sickerfurchen gegraben und mit Kalkkies und Biochar aufgefüllt, womit wir bei Starkregen viele Kubikmeter Wasser zurückhalten würden.

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Die ersten Monate nach der Anpflanzung waren riskant, da die Begrünung und der Vetiver zur Bodenbefestigung in der heißen Jahreszeit noch nicht angewachsen waren.

Im nächsten Schritt wurde die unterirdische Tröpfchenbewässerung 20 bis 30 cm tief in den Boden verlegt. Ohne zeitweise Bewässerung hätten die Jungpflanzen die ersten Sommer nicht überstanden. Durch unterirdische Tröpfchenbewässerung kann jedoch die nötige Wassermenge stark reduziert werden, da zum einen kein Wasser verdampft und es sich zum anderen vor allem um eine Wasserstimulation handelt. Ab dem dritten Jahr konnte die Bewässerung im Sommer bereits auf zwei Tagen pro Woche mit je 20 bis 30 Minuten reduziert werden. Aufgrund der erhöhten Wasserspeicherung der Böden genügt es, wenn die Wurzelzone leicht angefeuchtet bleibt, um die Kapillarfunktion der Bodenkrume aufrechtzuerhalten. Dadurch wird Wasser aus tieferen Bodenschichten pflanzenverfügbar gemacht. Ein weiterer entscheidender Vorteil ist, dass wir über die Tröpfchenbewässerung flüssige organische Düngemittel wie Komposttee und Fermente (z.B.: fermentierte Weinblätter) direkt in die Wurzelzone dossieren und damit sowohl Wachstum als auch die Widerstandsfähigkeit der Reben stimulieren können.

Ein entscheidender Faktor für die Klimaanpassung wurde die Anpflanzung von rund 6‘000 Vetiverpflanzen (auf insgesamt rund 18‘000 Reben) sowohl in den Steilstücken zwischen den Terrassen als auch an kritischen topographischen Stellen in den Rebzeilen. Vetiver bildet ein tiefreichendes, vertikales Wurzelgeflecht, welches verhindert, dass Regenwasser im Hang abfließt. Auch hält Vetiver Erde zurück, sorgt für Humifizierung und befestigt die Hänge. Die Wasserkonkurrenz mit den Reben ist minimal, da sie eben auch Untergrundwasser mobilisieren. Dort zum Beispiel, wo Vetiver direkt neben eine Rebe gepflanzt wurde, vermengen sich die Wurzeln der beiden Pflanzen symbiotisch und die Vetiverwurzel erschließt der Rebe den Unterboden mit seinem mineralischen Reichtum.

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18 Monate nach der Anpflanzung sahen die Terrassen schon viel besser aus und konnten den Großteil des Regenwassers auffangen. An den steilen Stellen zwischen den Terrassen gedeihte nun der Vetiver.

Wir haben hunderte Olivenbäume, Orangen, Khaki, Aprikosen, Zitronen, Granatäpfel und weitere klimaangepasste Bäume gepflanzt, um teilweise für Schatten und Windschutz, aber vor allem für höhere Biodiversität zu sorgen. Lavendel, Rosmarin und Thymian an den Zeilenenden ziehen Insekten an, wilde Rosen an den Rändern bieten Schlupfplätze für die natürlichen Feinde der Rebzikaden, die sich als unser Hauptproblem herausstellten. In den Abendstunden schwirren Fledermäuse aus den zahlreichen für sie installierten Häuschen.

Auch wenn im Sommer die Begrünung vollständig abtrocknet, so bleibt der Boden doch immer leicht vom trockenen Gras bedeckt und von den Wurzeln befestigt. Mit dem ersten Herbstregen keimt die eingesäte Winterbegrünung auf und von spätestens Mitte November bis Mitte April leuchten die Weinberge grün unter dem tiefen Himmelsblau. Die Mythopia Begrünungsmischung enthält zahlreiche Leguminosen und sorgt für natürliche Stickstoffdüngung der Reben.  

Als alles bereit war, pflanzten wir im März 2017 auf 3 Hektar Tintilla di Rota, Syrah, Tempranillo, Garnacha und Viognier. Stimuliert von den fermentierten Grassäften (Kombucha) in der Tröpfchenbewässerung und energetisch versorgt von der intensiven Sonne Andalusiens, entwickelten sich die Jungreben in den ersten beiden Jahren so prächtig, dass wir im August 2018 schon die erste kleine Ernte einfahren konnten. Und obwohl eigentlich der Wein von Jungpflanzen wegen minderer Qualität verworfen wird, wurde uns bereits anhand der ersten Fassproben im September 2018 klar, dass hier Weine heranwachsen, die alle Mühen würden wert gewesen sein lassen.

Wir entschlossen uns, die weißen wie roten Weine in Tonamphoren auszubauen. Der kalte Stein passt besser zu den heißen Weinen Andalusiens, wohingegen im Wallis in den eiskalten Winterkellern die Weine besser in Eichen- und Lärchenholz ausdauern. An den Étangs im französischen Süden steht die Entscheidung noch aus, Barrique oder Amphoren.

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Unsere Weine altern für etwa vier Jahre in Tonamphoren.

Nach zwei aufregenden Jahren voller motivierender Aktivitäten und Reisen in den Süden, kam nun die Zeit, die Routinen zu organisieren. Ich konnte nicht mehr so häufig vor Ort sein und musste lernen, wie es ist, nicht mehr alle Fehler selbst zu machen, sondern Arbeiten aus der Distanz anzuleiten und das System so robust aufzustellen, dass unvermeidliche Fehler keine allzu großen Konsequenzen haben würden. Ab der ersten Ernte konnten wir Simbad Romero als unseren lokalen Projektleiter gewinnen. Simbad, der in Ronda zudem eigene Weine produziert (https://simbadromero.com), kümmert sich insbesondere um die Kellerarbeiten und Weinadministration, koordiniert aber auch die allfälligen Weinbergsarbeiten, schaut nach der Pflanzengesundheit, kontrolliert die dosierte Tröpfchenbewässerung und leitet die Arbeiter an, die wir für bestimmte saisonale Arbeiten (z.B. Nachpflanzungen, Ausbrechen der Triebe, Begrünungsunterhalt) engagieren. Die Landarbeiten und der Unterhalt der Maschinen wurden von Beginn an vom vielseitig begabten Antonio Sevillano ausgeführt. Und Rudi Ballauf sorgt unterdessen für unser Seelenheil, indem er alle Angelegenheiten mit den spanischen Behörden regelte. Auch stellte er dem Projekt das nötige Budget zur Verfügung, so dass wir, wenn auch sparsam haushaltend, kaum Kompromisse bei dessen Umsetzung eingehen mussten.

Für Rudi Ballauf erfüllte sich ein Traum. Er war neugierig auf alles, beschäftigte sich intensiv mit nachhaltiger Landwirtschaft, Bodenkunde, Wassermanagement und natürlich mit Rebkunde. Alle wesentlichen Entscheidungen trafen wir gemeinsam, wobei seine Lebenserfahrung und Weisheit der bestmögliche Kompass war. Die einzige Schwierigkeit für Rudi war allerdings unsere Art der Vinifizierung. Die wunderbaren Trauben, die wir eingekellert hatten, sprachen für sich, aber wer lässt einen südspanischen Wein ein Jahr lang auf der Maische? Und wie lässt sich während des ganzen Jahres beurteilen, ob aus dem Wein etwas wird, oder ob aus purem Selbstvertrauen die jahrelange Arbeit nun im Keller zerstört würde?

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Heute, acht Jahre später, gedeiht an demselben Ort wie auf den ersten drei Bildern ein üppiges Herbstgrün, das Insekten und Bodenleben nährt und Regenwasser in den tiefen Bodenspeicher filtert.

Als die erste Lese schließlich vor der darauffolgenden Ernte abgepresst wurde, musste man schon Experte oder Scharlatan sein, um die erdrückenden Tannine, den Restzucker und das herausfordernde Mouthfeel als sichere Anzeichen für einen großartigen Wein zu erkennen. Doch mit jedem zusätzlichen Jahr der Alterung komponierten sich die Weine von der Kakophonie des Jungchores immer mehr zu Kammerkonzerten. Verschiedene Sommeliers und Mythopia-Händler begleiteten uns in diesen Jahren und mit ihrem Urteil wuchs das Vertrauen, dass die Mythopia-Methoden auch in Andalusien funktionierten.

Sechs Jahre nach der ersten Ernte und acht Jahre nach dem Beginn des Projektes, werden seit Herbst 2024 unsere ersten Mythopia Andalusia Weine in ausgewählten Restaurants und Weinbars in Europa serviert. Der größte Luxus in der heutigen Zeit ist, Zeit zu haben, und die haben wir uns genommen, um Reben anzubauen und daraus Weine zu keltern, wie kein Commandeur de l‘Ordre es sich je hätte ausmalen lassen.